Mehr Jungs aufs Pferd


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Max Polaski

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„Mehr Jungs aufs Pferd!“

Der Männeranteil in den Vereinen, die der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) angeschlossen sind, beträgt gerade noch gut ein Viertel, bei den unter 21-Jährigen ist es nur ein Achtel. Nun entstand ein neues Förderprogramm der FN.

Soll ich aufsteigen oder den Ball spielen? Diese Frage wird sich manch kleiner Junge stellen. Wenn der zehnjährige Max zum Sportunterricht kommt, dann ist er der einzige Junge neben fünf Mädchen. Denn Max hat sich fürs Reiten entschieden. Das bietet seine Grundschule, die private Schele-Schule in Berlin-Charlottenburg, seit einigen Jahren als Schulsport an. Wie so oft, wenn es um Pferde geht, sind nur wenige Jungs dabei. Dass es ausgerechnet Max zur vermeintlichen Mädchensportart getrieben hat, ist kein Wunder, denn er heißt mit Nachnamen Polaski und ist Sohn von Hufschmied Volkmar Polaski – also familiär „vorbelastet“. Beim Unterricht in der Reitanlage Pichelsberg ist er der Star, nicht nur weil er richtig gut reiten kann, sondern weil er zwei Ponys und ein Pferd besitzt und auch schon Turniererfahrungen gesammelt hat. Beim Maifelder Sonntag bekam er kürzlich einen Sonderpreis im Geländereiter-Wettbewerb: Mit seinem Pony Pedro war er der beste Junge hinter acht Mädchen.

Wie Max geht es den meisten reitenden Jungs und Männern: Sie sehen sich einer Überzahl von Mädchen und Frauen gegenüber. Der Männeranteil in den Vereinen, die der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) angeschlossen sind, beträgt gerade noch gut ein Viertel, bei den unter 21-Jährigen ist es nur ein Achtel. Und bei

Kindern im Grundschulalter kommt inzwischen ein Junge auf neun Mädchen! Die Ursachen für diese Entwicklung sind längst bekannt: Für Mädchen in einem bestimmten Alter ist das Pferd Kuscheltier, bester Freund und Sportpartner in einem. Zeitschriften wie „Wendy“ und zahllose Pferdebücher bedienen dieses Bedürfnis. „Der Mädchenboom ist sozial verursacht“, sagt der Sportwissenschaftler Prof. Nils Neuber von der Uni Münster. Die Folge ist ein Imagewandel – Reiten gilt zunehmend als Mädchen- und Frauensport. im Grundschulalter wollen aber alles tun, was nicht weiblich ist“, so Neuber.

Dabei hat eine von der FN in Auftrag gegebene Studie schon Ende der 90er Jahre ergeben, dass Jungs sehr wohl an Pferden interessiert sind, nur eben anders als Mädchen. Die FN geht jetzt massiv gegen den Jungen und Männerschwund an, unter anderem mit dem Förderprogramm aufs Pferd“. „Wir möchten kein reiner Frauensportverband werden“, sagt Maria Schierhölter-Otte, Leiterin der Abteilung Jugend bei der FN. Zumal das auf Dauer verheerende Folgen hätte: Angesichts des demographischen Wandels werden die Mitgliederzahlen in allen Sportvereinen langfristig sinken; da kann es sich kein Verband leisten, von vornherein auf die Hälfte potenzieller Mitglieder zu verzichten. sogenannten Zukunftswerkstätten für alle Landesverbände will die FN auf den Trend aufmerksam machen und Betroffenheit erzeugen, damit die Pferdeabstinenz der männlichen Jugend als Problem erkannt wird.

Wie bekommt man Jungs aufs Pferd?

Eine einfache, aber verblüffende Antwort lautet: indem man sie nicht völlig verloren unter ganz vielen Mädchen lässt. „Jungs wollen gern unter sich sein, sind risikofreudiger, wollen mehr ausprobieren“, sagt Maria Schierhölter-Otte. „Eine halbe Stunde lang Ecken durchreiten, Hacken tief und Bauch raus, das ist ihnen zu langweilig.“ Reine Jungsreitgruppen – in Berlin-Brandenburg gibt es das noch nicht; anderswo hat man damit gute Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel auf dem Rehrhof bei Amelinghausen in der Lüneburger Heide. Reitlehrerin Sabine Reifenrath wunderte sich darüber, dass Jungs spätestens nach einem Jahr keine Lust mehr zum Reiten hatten. den letzten Monaten kamen die schon mit einem Fußball unterm Arm, da habe ich gemerkt, dass es nicht so ihr Ding ist, sich nur aufs Pferd zu konzentrieren. Sie brauchen Action und Ablenkung.“ Also bot sie Jungs-Tage an und hatte damit Erfolg. Ein Nachmittag mit Jungs ist bestimmt nicht langweilig. Statt den Paddock abzuäppeln, spritzen sie sich gegenseitig mit Wasser nass. Sie laufen zwischen Reitplatz und Stall hin und her, weil der eine seine Kappe und der andere seine Gerte vergessen hat. Der Reitunterricht hat wenig mit Abteilungsreiten und Sitzkorrekturen zu tun – das würde die Jungs überfordern, meint die Reitlehrerin. Wenn dann am Ende ein Junge gleich zweimal unfreiwillig mit seinem Pferd davon galoppiert und ein anderer runtergefallen ist, dann lacht Sabine Reifenrath:

„Ein Nachmittag mit Mädchen geht konzentrierter, planbarer, unspektakulärer über die Bühne.“ Aber die Jungs bleiben dabei – und wenn sie dann 14 oder 15 Jahre alt sind und bis dahin positive Erlebnisse mit Pferden hatten, dann fangen sie richtig konzentriert an zu reiten, so die Erfahrung von Sabine Reifenrath. Eine reine Jungsreitgruppe – für Monika Tilger, die seit Anfang des Jahres mit ihrem Mann die Reitanlage Stahnsdorf betreibt, ist das ein Albtraum! Sie hat es ausprobiert: „So was Ehrgeizloses und Mauliges – es war furchtbar! Aber wenn Mädchen dabei sind, dann werden die Jungs angespornt, dann ziehen sie mit!“ Auch sie sieht das Problem, dass Jungs schneller das Handtuch werfen, wenn nicht gleich alles klappt. Um sie zu motivieren, baut Monika Tilger spielerische Elemente in den Reitunterricht ein: die Reise nach Jerusalem zu Pferd beispielsweise oder Slalomreiten als Mannschaftswettbewerb zwischen Mädchen und Jungs. Das Wettkampfbedürfnis steht bei Jungs ganz weit oben, egal in welcher Sportart. Das bestätigt der Sportwissenschaftler Nils Neuber. Allerdings ist das Turnierreiten für Jungs nur bedingt befriedigend. Gerade in den Einsteigerprüfungen sehen sie sich einer Konkurrenz von Mädchen ausgesetzt, die hübscher auf dem Pferd sitzen, Mähne und eigene Haare aufwendig zu Zöpfen geflochten haben und in bestimmten Altersgruppen auch motorisch überlegen sind. Für Jungs wird das schnell zum Frust. Inzwischen werden in Führzügelklassen oder Reiterwettbewerben vereinzelt Jungs in eigenen Abteilungen gewertet. Maria Schierhölter-Otte von der FN wünscht sich, dass das Schule macht und auch mal Springprüfungen oder Geschicklichkeitswettbewerbe nur für Jungs ausgeschrieben werden. Ein weiterer Ansatz bei der Jungsförderung sind die Ausbilder. Beim Reiten ist es wie im Kindergarten, in der Grundschule und zum großen Teil auch in der Familie: Es sind vor allem Frauen, die Kinder erziehen und ausbilden. „Die Jungs haben kein positives männliches Vorbild, an dem sie sich orientieren können“, beschreibt der Sportwissenschaftler Nils Neuber eine Entwicklung, die nicht nur im Reitsport zunehmend als Problem erkannt wird. Die FN stellt im Bereich der Ausbilder einen dramatischen Frauenüberschuss fest. Bei den Hauptberuflern liegt der Anteil bei gut 70 Prozent, im Amateurbereich sogar über 90 Prozent das ist die logische Folge, wenn es fast nur noch das weibliche Geschlecht zum Pferd zieht. Und hier schließt sich der Teufelskreislauf: „Da passiert es dann, dass Jungs sich abgrenzen von allem, was nicht männlich ist“, bemerkt Neuber.

Der erste Kontakt zwischen Junge und Pferd

Obwohl es eigentlich gar nicht so schwer ist, Jungs den Umgang mit dem Pferd schmackhaft zu machen, wenn sie den ersten Kontakt aufgenommen bleibt die Frage, wie man sie überhaupt ans Pferd heranbekommt. Neuber hält dabei den Weg über die Schulen für erfolgversprechend. Wenn Reiten als Schulfach angeboten wird, interessieren sich erfahrungsgemäß mehr Jungs dafür, als wenn sie allein den Weg in den Pferdestall finden müssen. Immer mehr Angebote gibt es inzwischen für den Schulsport Reiten, bundesweit einmalig ist nach wie vor das Reiten als Wahlpflichtfach in Neustadt (Dosse). Auch dort liegt der Jungenanteil zwar derzeit noch bei zehn Prozent, die Tendenz ist aber steigend. War es im ersten Jahrgang vor sieben Jahren nur ein Junge, so sind es im neuesten Jahrgang immerhin fünf Jungen aus der siebten Klasse, die sich gemeinsam mit acht Mädchen für das Wahlpflichtfach Reiten entschieden haben. Reitlehrer Hendrik Falk weist ebenfalls auf die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen hin: Jungen brauchen mehr Wettkampf, mehr Spannung, Mädchen dagegen haben viel Geduld, sind fleißiger und genügsamer, so seine Erfahrungen. Im Unterricht versucht er, beiden Bedürfnissen gerecht zu werden, trennt die Gruppen auch manchmal. Mit einem Vorurteil räumt er aber gleich auf, dass nämlich Jungs nicht mit Pferden kuscheln: „Auch ein Junge kann warmherzig und einfühlsam sein, wenn man ihm die Zeit dafür gibt, zu erfühlen, wie warm ein Pferd erst mit den Händen, dann mit der Wange.“

Kirsten Lemke
Reiten und Zucht, November 2007, Seite 6/7